Ich bin in Velika Kladuša in Bosnien, um Geflüchteten zu helfen. Gemeinsam mit meinem Mann René und Dean, der sich dazu entschlossen hat ein ganzes Jahr hier zu verbringen. Am Montag sind René und ich mit dem Auto von Wuppertal aus losgefahren und haben mit einigen Pausen Dienstag in den frühen Morgenstunden das kleine Dorf an der bosnisch-kroatischen Grenze erreicht. Es ist nicht das erste Mal, dass wir hier sind. Gemeinsam mit anderen Aktivisten und Volunteers wohnen wir in einem kleinen Appartement.
Bosnien ist ein armes Land, was die vielen Geflüchteten kaum versorgen kann. Es mangelt hier nahezu an allem: Essen, Kleidung, Schuhe, Rucksäcke, Hygieneartikel, medizinische und psychologische Betreuung, Schlaf- & Wohngelegenheiten.
Es gibt zwei Camps, doch kaum Infrastruktur. Also schlafen jede Nacht etliche Menschen unter freiem Himmel, auch Frauen und Kinder. Mal wird von NGOs Essen geliefert, mal nicht.
Jeden Tag und jede Nacht machen sich viele Geflüchtete auf zum “Game”. So nennen sie den Versuch die bosnisch-kroatische Grenze zu überqueren. Doch es ist alles andere als ein Spiel. Die kroatische Polizei macht Jagd auf die Menschen, die versuchen einen sicheren Ort zu erreichen. Heftige Polizeigewalt und Folter sind an der Tagesordnung. Smartphones werden zerstört, Bargeld wird geklaut, Zigaretten werden auf der Haut ausgedrückt, sexueller Missbrauch und Bedrohung mit Waffen finden hier tagtäglich statt, ausgeübt durch die staatliche Gewalt. Anschließend werden die Geflüchteten mit Hilfe sogenannter Push-Backs zurück nach Bosnien abgeschoben. Das ist illegal, sowohl nach europäischem Recht, als auch nach kroatischem und slowenischem Recht.
Zu allem Übel hat Bosnien nun auf Druck der Europäischen Union einen Erlass herausgegeben, der es Ärzten verbietet Geflüchtete zu behandeln.
Bei meinem letzten Aufenthalt hier sah ich einen jungen Mann, der nahezu am ganzen Körper verbunden war. Überall sah man getrocknetes Blut. Sein Gesicht war so übel zugerichtet, dass man ihn kaum noch erkennen konnte. In dieser Zeit war es für die Verletzten noch möglich sich im Krankenhaus behandeln zu lassen.
Ärzte ohne Grenzen und andere Doktoren arbeiten hier unter freiem Himmel oder aus größeren Autos heraus. Aus diesem Grund haben wir uns dazu entschieden einen alten Container zu renovieren, um eine Erste-Hilfe-Station einzurichten.
Ich sitze im Auto und tippe diesen Artikel auf meinem Smartphone, während draußen fleißig gewerkelt wird. Einige Refugees fangen an mitzuhelfen. Am Ende stehen René und Dean daneben. Sie sind arbeitslos geworden. So seltsam es klingt, aber etwas sinnvolles tun zu können, ist für viele hier bereits ein großes Geschenk. Die Stimmung hier ist meistens friedlich und ruhig. Obwohl so viele Menschen auf engem Raum arbeiten, geht es sehr geordnet zu.
Ich laufe zur Bäckerei, um für alle Börek und Ayran zu holen. Um Zeit zu sparen und mehr arbeiten zu können, versuchen wir abends zu kochen. Doch harte körperliche Arbeit verbrennt eine Menge Kalorien, so dass wir tagsüber nahezu immer Börek essen, nahrhaft und günstig.
Es ist ein ständiges Kommen und Gehen. Niemand bleibt länger als nötig hier. Und egal wie oft die kroatische oder slowenische Polizei einen verprügelt und zurück schickt, die Hoffnung stirbt zuletzt und immer wieder gelingt es auch einigen die Grenzen zu überwinden.
Nachts liege ich im Bett und denke daran, wie unfassbar viel Glück ich gehabt habe, in Deutschland geboren worden zu sein. Ich habe ein Bett, ein Dach über dem Kopf, eine Decke, genügend Kleidung, Wasser und Nahrung. Nachts gehen die Temperaturen hier bereits runter auf wenige Grad über Null. Ich kann nicht schlafen. Denke an die vielen Menschen da draußen, die nicht einmal ein Zelt haben, draußen auf dem kalten Boden schlafen müssen, mit ihren Kindern. Wie würde ich diese Situation meinen Kindern erklären? Wie können wir als Gesellschaft es zulassen, dass so mit Menschen umgegangen wird?
Ich erinnere mich noch als Kind fassungslos auf die Bilder aus dem Zweiten Weltkrieg gestarrt zu haben. Ich weiß noch, wie ich dachte, dass es wohl unmöglich ist, dass sich so etwas wiederholt.
Und jetzt stehen wir hier, im Jahr 2018 und besuchen Lager in Europa. Lager, in denen Menschen gegen ihren Willen festgehalten werden. Lager, in denen nicht einmal die Grundrechte gesichert sind, Zugang zu Wasser, Nahrung, Bildung, Wohnen und Gesundheit. Und diese unmenschlichen Zustände sind gesetzlich festgelegt. Es ist legales Unrecht. Und zeigt mir ein weiteres Mal wie wichtig es ist den Unterschied zwischen legal und legitim zu erkennen. Alles was im Nationalsozialismus passierte, war legal, aber keineswegs legitim.
Es braucht Widerstand gegen dieses unmenschliche, faschistische System, was Menschen in wertvoll und wertlos unterteilt.
Es braucht mutige Menschen, die sich dem entgegen stellen und die Zustände eben nicht akzeptieren. Einige von diesen mutigen Menschen darf ich hier kennen lernen und ich bin verdammt stolz darauf ein Teil von ihnen zu sein. Wenn meine Kinder mich einmal fragen werden: “Wie konnte das alles passieren?” dann kann ich zumindest sagen: “Ich habe dagegen gekämpft.”
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Danke Vicky für diesen sehr beeindruckenden Bericht , den Du vor Ort erlebt und nieder geschrieben hast !
Man kann es sich wirklich kaum vorstellen , was an dieser Grenze passiert , einige Berichte , grauenvolle Berichte habe ich schon gelesen ! Jetzt wird auch noch die ärztliche Versorgung untersagt ? Unglaublich !😖 Was ist aus Europa nur geworden … man kann sich nur noch schämen!😞
Danke für Eure so enorm wichtige Hilfe vor Ort ! 🙏❤️
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