Arbeiten auf der Balkanroute: Die Konfrontation mit den Folgen der EU Grenzpolitik

Text für das Antifa-Camp am 19. August 2018: Der heutige Vortrag wird von jemand anderem gemacht als vorgesehen, da ich im Moment wieder an der bosnisch-kroatischen Grenze aktiv bin. Ich schreibe das, weil ich mich für eine persönliche Erzählung entschieden habe.

Text: Riot Turtle.

Die Arbeit des Cars of Hope Kollektiv fing in 2015 mit einer E-Mail eines Genossen aus Ljubljana in Slowenien an. Er bat mich zur slowenisch-kroatischen Grenze zu kommen. Im Niemandsland zwischen Slowenien und Kroatien befand sich eine große Zahl von Geflüchteten, die durch slowenische Riot Cops am Grenzübertritt nach Slowenien gehindert wurden. Der Genosse bat um internationale Präsenz, da die Antifa-Gruppe, in der er aktiv war, darauf spekulierte, dass die slowenischen Cops sich zurückhaltender verhalten würden, wenn Aktivist*Innen aus dem Ausland anwesend sein würden.

Ich organisierte ein Auto und fuhr am nächsten Morgen nach Slowenien. In Ljubljana gab es ein kurzes Briefing über die aktuelle Situation, danach brachen wir zur Grenze auf.

Sommer 2015: Hubschrauber, Panzer und Riot Cops an der slowenisch-kroatischen Grenze. Etwa 200 Geflüchteten befanden sich im Niemandsland. Eines der Kinder war sehr krank und wir versuchten das Kind in ein Krankenhaus zu bringen. Die Cops an beiden Seiten der Grenze weigerten sich aber das Kind durchzulassen. In der Nacht ist es dann gestorben. Grenzen töten, in dieser Nacht ganz real, direkt vor meinen Augen.

Am nächsten Morgen wurde die Grenze kurzzeitig geöffnet und die Gruppe durfte die Grenze überqueren. Danach änderte sich die Route von Serbien über Ungarn nach Nord- und West-Europa. Wir fuhren nach Österreich und bekamen die Nachricht, das die ungarische Polizei angefangen hatte, Geflüchtete auf einem Feld auf der anderen Seite der Grenze zu verhaften. Wir entschieden uns einzugreifen. Kurz bevor wir über die Grenze fuhren, sagte jemand: “Wir brauchen ein Hashtag, um über Twitter mehr PKWs zu organisieren: #CarsOfHope.” Unser Name war geboren. 

Nach diesem ersten Einsatz auf der Balkanroute wurde die Cars Of Hope Struktur aufgebaut. Seit 2015 waren wir aktiv in Österreich, Slowenien, Kroatien, Serbien und Griechenland, inklusive der griechischen Insel Lesbos. Im Moment sind wir aber vor allem in Bosnien unterwegs. Außer einem umstrittenen Einsatz in einem staatlichen Camp in Kroatien in 2015 arbeiten wir ausschließlich zusammen mit lokalen Strukturen und Geflüchteten. Konkret heißt dies, dass wir uns nach den Bedürfnissen der Leute vor Ort richten und nicht top-down arbeiten. Wir stimmen unsere Aktivitäten ab.

Mittlerweile ist aus Cars of Hope der Verein Hopetal e.V. hervorgegangen, was wegen des Sammelns von Spenden notwendig wurde. Ab diesem Moment hätten wir z. B. auch eine Akkreditierung für unsere Arbeit im Moria Camp auf Lesbos beantragen können, was wir jedoch nicht getan haben, da wir uns dann dem Regelwerk von diesem sogenannten EU-Hotspot hätten unterwerfen müssen.

Auf Lesbos und andere griechischen Inseln kommen trotz EU-Türkei-Deal nach wie vor täglich neue Geflüchtete an. Im Moria Camp, das offiziell eine Kapazität von etwa 2000 Menschen hat, sind etwa 8000 Menschen untergebracht. Die Situation dort ist mehr als schlecht. Das Filmen und Fotografieren dieser Zustände ist strikt verboten und genau deshalb haben wir die Dokumentation der Situation im Moria Camp auch als einer unserer Aufgaben gesehen, neben dem Verteilen von Schuhen, Nahrungsmitteln und z. B. Windeln. Ohne offizielle Akkreditierung war dies nur möglich durch eine intensive Zusammenarbeit mit Geflüchteten vor Ort.

Ein immer wiederkehrendes Thema ist Racial Profiling und Polizeigewalt gegen Geflüchtete. Ob in Griechenland, in Slowenien oder Kroatien, die Polizeigewalt war und ist immer da. Im Moment arbeiten wir in Velika Kladuša an der bosnisch-kroatischen Grenze. Die Krajina ist eine Region, in der die Balkan-Kriege tiefe Spuren hinterlassen haben. Hier werden Geflüchtete nicht von Cops geschlagen, sondern hier sieht man Cops, die Fahrräder von geflüchteten Kids reparieren. Hier wurde ich von einem Cop umarmt, als ich eine Eskalation zwischen Geflüchteten schlichten konnte. Die Cops wussten nicht, was sie machen sollten und waren froh, dass wir da waren und es schafften die Situation zu deeskalieren. Natürlich bleibt die Institution Polizei mehr als nur kritisch zu sehen, aber auf der Balkanroute wird dein Weltbild immer wieder auf dem Kopf gestellt.

Velika Kladuša liegt an der bosnischen Seite der bosnisch-kroatischen Grenze. Die Stadt hat ein Feld zur Verfügung gestellt, auf dem mehrere hundert Geflüchtete untergebracht sind. Die Zahl wechselt ständig, da viele immer wieder zum “Game” gehen. Das Katz und Maus Spiel mit der kroatischen Polizei in den Wäldern an der Grenze wird von den Geflüchteten “Game” genannt. Ein äußerst gefährliches Spiel, bei dem es regelmäßig Verletzte und Schwerverletzte gibt.

Wir bauen hier Notunterkünfte für Geflüchtete, da sie sonst im Freien schlafen müssen. Wir kaufen und verteilen auch Schuhe, Powerbanks und andere Sachen. Ebenfalls renovieren wir im Moment zwei Container. Einer soll als Notunterkunft dienen, der zweite Container soll in eine Erste-Hilfe-Station umgewandelt werden.

Außer Ärzte ohne Grenzen, mit denen wir überall auf der Balkanroute gute Erfahrungen gemacht haben, ist die Arbeit des UNHCR und einigen anderen NGOs auch in Velika Kladuša ein Trauerspiel. In Bosnien arbeiten wir mit Geflüchteten, der lokalen Bevölkerung und den selbstorganisierten Strukturen SOS Team Kladuša und No Name Kitchen zusammen.

Die Qualität der Gewalt der kroatischen Polizei gegen Geflüchtete steigt ständig. Jeden Tag müssen viele Verletzte, die mittels illegalen Push-Backs zurück nach Bosnien kommen, versorgt werden. In den letzten paar Wochen gab es verstärkt Übergriffe gegen Frauen und Kinder. Ein Vorfall, den wir auf dem Enough is Enough Blog ausführlich dokumentiert haben, war ein brutaler Übergriff von kroatischen Cops gegen eine iranische Familie. Die Eltern mussten zuschauen, wie kroatische Cops einen Kreis um die beiden Söhne formten. Danach wurde von allen Seiten durch Cops auf die beiden Jungs eingeprügelt. Anschließend wurde der Vater verprügelt. Mutter und Tochter mussten sich komplett entkleiden und als die Tochter den Cops erklärte, dass sie aufhören sollten ihren Vater zu schlagen, wurde auch sie verprügelt. Während dies geschah hielt einer der Cops seine Dienstwaffe an den Kopf der Mutter. Ihre Handys wurden zerstört und ihr Geld wurde von den Cops gestohlen. Danach wurden sie über die Grenze illegal zurück nach Bosnien geschoben. Dies ist nur eine der vielen und täglichen Geschichten über die massive Polizeigewalt an dieser EU-Außengrenze.

Gestern kam ein kurdischer Geflüchteter mit seiner zerstörten Prothese zu uns. Kroatische Cops hatten am Abend davor diese Prothese kaputt geschlagen. Einer der Aktivisten aus unserer Gruppe konnte die Prothese reparieren. Er tat es, während er permanent seinen Kopf schüttelte. Die Arbeit hier ist nicht nur körperlich schwer, sondern kostet vor allem mental viel Kraft.

Die Bedingungen insgesamt sind schwer auszuhalten. Wir  werden aber weiter machen und rufen dazu auf den Kampf gegen das Europäische Grenzregime zu intensivieren. Vor allem zu Hause, denn die Bundesrepublik Deutschland spielt nach wie vor eine große Rolle in der europäischen Grenzpolitik.

No borders! No Nations!

Kämpferische Grüße aus Bosnien


Nur mit eurer Hilfe können wir hier in Bosnien weiterhin Geflüchtete unterstützen.

Wer uns unterstützen möchte, kann Geld spenden:

Unsere Kontodaten:

Volksbank im Bergischen Land

Kontoinhaber: Hopetal e.V.

Verwendungszweck: Cars of Hope

IBAN: DE51 3406 0094 0002 9450 87

BIC: VBRSDE33XXX

oder über PayPal:

carsofhopewtal@gmail.com

 

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